Predigt am Hochfest Allerheiligen 2022
Liebe Gläubige!
Wenn wir an Heilige denken, denken wir an Menschen, die vollkommen waren. Wir wissen, dass es bei manchen eine große Wende im Leben, eine Bekehrung, eine Hinkehr zu Gott. Aber dann, so glauben wir, war alles mehr oder weniger perfekt, außergewöhnlich und vollkommen. Allerdings: So war es nicht. Die Heiligen waren Kämpfer ein Leben lang. Ich möchte jetzt zwei Ideale gegenüberstellen: den menschlichen Perfektionismus und die christliche Vollkommenheit. Es sind zwei verschiedene Ideale, ja zum Teil sogar entgegengesetzte Ideale.
Menschlicher Perfektionismus geht vom menschlichen Urteilen aus. Gemeint ist Leistung ohne Fehler, Auftreten ohne Fehler, die perfekte Figur, die perfekte Kleidung, das perfekte Aussehen, der perfekte Partner bzw. Partnerin, der perfekte Pfarrer, die perfekte Arbeit usw. Was ist wirklich perfekt? Von sich das Perfekte verlangen, ist bedrückend, von anderen das Perfekte verlangen ebenso. Der Perfektionist tut sich schwer mit Fehlern. Sie dürfen einfach nicht passieren. Und wenn sie passieren, ist man enttäuscht, verärgert, unzufrieden, vertuscht sie, beginnt an sich zu zweifeln oder man setzt sich und andere noch mehr unter Druck, bis eben alles perfekt ist. Perfektionistische Chefs und Mitarbeiter zu haben, ist sehr mühsam. Perfektionisten sagen: Entweder mache ich etwas ganz und super oder überhaupt nicht. Im Herzen und auf den Lippen von Perfektionisten gibt es viel Kritik. Wenn sie verurteilen, können sie auch gnadenlos werden. So manche Perfektionisten brechen unter ihren Idealen zusammen. Perfektionisten möchten glänzen und manche arbeiten bis zum Umfallen, um Fehlerloses zu vollbringen.
Der Perfektionismus ist eine Zeitkrankheit, die uns plagt und uns leiden lässt. Es ist oft gar nicht leicht, sich dem Perfektionismus zu entziehen. Geistig wache Menschen haben darüber Artikel und Bücher verfasst (z. Bsp. Raphael Bonelli mit seinem Buch: Perfektionismus: Wenn das Soll zum Muss wird.)
Die christliche Vollkommenheit ist anders, ja zum Teil ganz anders. Der vollkommene Mensch in den Augen Gottes arbeitet mit bestem Wissen und Gewissen. Er möchte dienen und lieben. Was nicht oder noch nicht gelungen ist, enttäuscht ihn nicht. Er lässt sich nicht aus der Bahn werfen, sondern macht weiter. Er vertraut nicht nur auf eigene Kräfte, sondern ganz fest auch auf die Hilfe Gottes. Wenn etwas danebengeht, verurteilt er nicht sich selbst und andere, er kann sogar manchmal schmunzeln über das, was danebengegangen ist. Er ist bereit zu lernen und gibt sein Bestes, auch wenn es nicht perfekt ist. Er zweifelt nicht an sich und an anderen, sondern ist gelassen. Er ist barmherzig und nicht allzu schnell verurteilend. Der vollkommene Mensch ist nicht der fehlerlose Mensch, sondern der Mensch mit einem reinen Herzen.
Ein reines Herz ist ein aufrichtiges und ehrliches Herz. Da gibt es nicht den Stolz, nicht die Maske. Der vollkommene Mensch vertraut auf das Erbarmen Gottes, er erbittet es für sich und für andere. Er kann geduldig sein mit sich und mit anderen. In seinem Herzen regieren der Frieden, das Vertrauen, die Freude und die Zuversicht. Wenn Jesus sagt: „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48), dann verlangt er nicht ein fehlerloses Leben. Das schaffen wir gar nicht, auch die anderen nicht. Heilig wird, wer nicht müde wird, nach dem Guten, nach der Liebe, nach dem Besseren zu streben und dies trotz Rückschlägen und Fehlern.
Mutter Julia Verhaeghe hat einmal gesagt: Wäre Jesus ein Perfektionist gewesen, hätte er alle Apostel nach Hause schicken müssen, zuallererst den Petrus. Die zwölf Apostel waren Männer mit ihren guten und weniger guten Charaktereigenschaften, mit Begeisterung für Jesus und mit Fehlern. Auf einem jahrelangen Weg ist in ihnen die Liebe gewachsen zum Herrn Jesus und zu den Menschen. Am Ende haben sie alle ihr Leben für Jesus Christus gegeben.
Das Fest Allerheiligen ruft uns zur christlichen Vollkommenheit, nicht zur menschlichen Perfektion. Wir erreichen sie, wenn wir uns vom Wort Gottes formen lassen, uns bemühen und anstrengen, bei Fehlern das Erbarmen Gottes herabrufen, uns von anderen helfen lassen, aus der Kraft der Sakramente leben und auf die Fürbitte der Heiligen vertrauen. Man muss kein Supermensch sein. Der Weg zur Heiligkeit steht allen offen. Amen.
P. Peter Willi FSO