Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Wie groß die religiöse Unwissenheit bei uns inzwischen geworden ist, zeigt sich gerade am Verständnis des heutigen Festgeheimnisses. Viele meinen, bei der unbefleckten Empfängnis Mariens ginge es um die Empfängnis Jesu durch Maria. Dem aber ist nicht so. Denn mit der Unbefleckten Empfängnis ist die Empfängnis Mariens im Schoss ihrer Mutter Anna gemeint. Eine -vom natürlichen Standpunkt aus gesehen- ganz „normale“ Empfängnis; im Kontext der Heilsgeschichte aber bedeutet diese Empfängnis etwas ganz Einzigartiges: Diese Empfängnis wird unbefleckt genannt, weil Maria ohne Erbschuld empfangen wurde. Das wiederum heißt, dass Gott Maria vom ersten Moment ihres Daseins an vor jener Verwicklung in Schuld und Sünde bewahrt hat, in welche alle anderen Menschen –also auch wir- durch die Ursünde unserer Stammeltern hineingerissen worden sind.
Maria musste zwar auch, genauso wie wir alle, von der Erbschuld unserer Stammeltern befreit werden; aber –und das ist das Besondere an ihr- das geschah bei ihr bereits im Moment ihrer Empfängnis; wir wurden im Gegensatz zu Maria erst nach unserer Empfängnis, ja sogar erst nach unserer Geburt, von der Erbschuld befreit; und zwar durch das Sakrament der Taufe; das heißt aber auch, dass es in unserem Leben schon einmal eine Zeit gegeben hat, in welcher die Erbschuld an unserer Seele genagt und tief schürfende Spuren in ihr hinterlassen hat; Spuren in Form von Anhänglichkeiten an die Sünde; wir nennen diese Anhänglichkeiten auch die Neigung zur Sünde.
Jeder von uns kennt diese Neigung zur Sünde: wenn z. B. unsere Sinne gegen die bessere Einsicht unseres Verstandes oder gegen das klare Urteil unseres Gewissens aufbegehren. Oder wenn sich unser Verstand gegen die Gesetze und die Gebote Gottes, d. h. gegen den Willen Gottes, sträubt. Maria kannte all diese Zerrissenheiten und all dieses Gespalten – Sein in ihrem Inneren nicht. Soviel zum Inhalt des Geheimnisses der Unbefleckten Empfängnis Mariens.
Dieses Geheimnis erinnert uns dann auch daran, dass es eigentlich nur eines gibt, was uns Menschen wirklich befleckt; und zwar die Sünde. Das ist eine Botschaft, die heute wieder ganz neu und in all ihrer Ernsthaftigkeit verkündet werden muss. Die Welt hat nämlich das Gespür dafür, was alles bereits in den Bereich der Sünde fällt, verloren. Ich sündige nicht nur dann, wenn ich etwas stehle oder wenn ich jemanden umbringe. Dass man sich auch gegen Gott versündigen kann, indem man z. B. das Gebet vernachlässigt oder willentlich an Gott zweifelt oder gar leichtfertig über ihn lästert, kommt nur noch sehr wenigen Menschen in den Sinn.
Die Welt fürchtet sich derzeit berechtigterweise vor sehr vielem: vor dem Terror, vor der Teuerung, vor dem Klimawandel, vor gefährlichen Viren, vor allem Möglichen; seltsamerweise jedoch nicht vor der Sünde. Jesus ermahnt uns genau zum Gegenteil: wir sollen uns nicht vor denen fürchtet, die den Leib töten, uns aber sonst nichts tun können; vielmehr sollen wir uns vor der Sünde fürchten; denn nur sie – niemand und nichts anders – kann uns das eigentliche und wirkliche Leben und die ewige Glückseligkeit im Himmel rauben.
Das heutige Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens im Schoß der Mutter Anna beinhalten übrigens auch eine mahnende Botschaft speziell an uns Vorarlberger. Was meine ich? Der einzige praktizierende Abtreibungsarzt in Vorarlberg plant in Pension zu gehen. In diesen Tagen werden in der Politik die Weichen gestellt, wie es nach ihm in Bezug auf Abtreibung weiter gehen wird; ob es nach vielen Jahren endlich keine erlaubten Abtreibungen mehr in Vorarlberg geben wird oder ob es weiter gehen wird wie bisher bzw. noch schlimmer werden wird. Das heutige Fest sagt uns eindeutig: so wie Maria vom Augenblick ihrer Empfängnis an ein vollwertiger Mensch war, so ist jedes Kind im Mutterschoß ausnahmslos ein vollwertiger Mensch mit einer unantastbaren Menschenwürde.
Als Christen sind wir aufgefordert, das Unrecht der Abtreibung als Tötung eines unschuldigen Menschen beim Namen zu nennen; dieses Unrecht müssen wir kompromisslos ablehnen. Aufgepasst: Wir verurteilen eine unrechtmäßige Tat, jedoch keinen Menschen; wir verurteilen keine Mutter, keinen Vater, keinen Arzt, keinen Politiker – niemanden; das steht uns nicht zu. Wir kennen die oft sehr komplexen Umstände nicht. Solange es jedoch auch nur eine einzige Abtreibung in Vorarlberg gibt, haben wir als Christen die Pflicht, das Unsrige zu tun, damit dieses Unrecht aus dem Weg geschafft wird. Denn es kosten hunderten von wehrlosen Kindern das Leben.
Ich möchte diese Predigt nicht negativ abschließen, sondern positiv. Freuen wir uns, dass Gott uns in Maria einen Menschen geschenkt hat, der von aller Anfang an vollkommen war, ganz schön, voll der Gnade. Somit haben wir von Gott ein menschliches Ideal vor Augen gestellt bekommen, dem wir nachstreben dürfen. Amen!
P. Johann Fenninger FSO