Liebe Schwestern und Brüder!
Das größte Vorbild eines glaubenden Menschen im Alten Testament war Abraham und im Neuen Testament Maria. Deshalb verehren wir Abraham als den Vater der Glaubenden und Maria die Mutter der Glaubenden.
Abraham wohnte in Ur in Chaldäa, im Gebiet des heutigen Irak. Gott forderte ihn auf, seine Heimat zu verlassen und in ein fernes, ihm unbekanntes Land zu ziehen. Darüber hinaus hat Gott ihm die Verheißung einer Nachkommenschaft gegeben, so zahlreich wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres. Abraham glaubte den Verheißungen Gottes. Sein starkes Gottvertrauen wurde vierfach auf die Probe gestellt. 1. Gott verlangte von ihm, auf den väterlichen Besitz zu verzichten. 2. Das verheißene Land konnte er noch nicht in Besitz nehmen, erst seine Nachkommen. 3. Er musste sehr lange warten, bis ihm sein Sohn Isaak geschenkt worden ist. 4. Als er ihn hatte, verlangte Gott, dass er ihm seinen Sohn opfere und zurückschenke. Abraham war dazu bereit, Gott aber verlangte dieses Opfer dann nicht.
Wenn wir auf das Glauben des Abraham schauen, dann bekommen wir verschiedene Antworten, was glauben bedeutet. Ich möchte euch drei Antworten zum Bedenken mit auf den Weg geben.
Glauben heißt annehmen, was man nicht sieht.
Abraham hat von seiner Nachkommenschaft nur einen gesehen: den Isaak. Aber er glaubte, dass er viele Generationen von Nachkommen haben werde. Jesus sagt zu Thomas: „Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Wir sehen Gott nicht, aber vertrauen ihm. Wir sehen Jesus nicht, aber wir glauben, dass er in den Sakramenten wirkt und an uns handelt. Wir sehen manchmal nicht, wie es im Leben weiter gehen soll oder wie sich die Demenzkrankheit eines lieben Menschen entwickeln wird. Am Morgen eines Tages sehen wir manchmal nicht, wie wir alles schaffen sollen. Der glaubende Mensch vertraut auf Gott, den er nicht sieht. Er vertraut, dass Gott helfen wird, wo er noch keine Lösung sieht oder wo alle Türe verschlossen sind. Glauben heißt: Über das Sehen und Wissen hinaus vertrauen.
Glauben heißt vertrauen, obwohl man nicht versteht.
Wir Menschen sind zu vielem bereit, aber wir wollen zuerst einsehen, begreifen und verstehen. Im Glauben geht es meistens umgekehrt: Zuerst sich auf Gott einlassen und dann verstehen. Petrus hat absolut nicht verstanden, warum er nach einer erfolglosen Fischernacht noch einmal die Netze auswerfen sollte (vgl. Lk 5). Jesus wollte es. Er hat es getan und er fing so viele Fische wie noch nie. Der katholische Glaube hält an Dingen fest, wo sich der moderne Geist reibt: Dass Frauen nicht zum Priester geweiht werden können; dass zum Sonntag der Gottesdienstbesuch gehört; dass Gläubige auf künstliche Empfängnisregelung verzichten sollen; dass es die Möglichkeit einer ewigen Verwerfung gibt usw. Für diese und andere Lehren gibt es Gründe, aber es kommt immer der Punkt, wo man das Unverständliche oder Unbegreifliche annehmen muss. Wer sagt: Ich nehme nur das an, was ICH verstehe, wird immer wieder Schwierigkeiten mit der katholischen Glaubenswelt haben. Überraschend allerdings ist, dass der Geist und das Herz zur Ruhe kommen, wenn man bereit ist, das Unverständliche anzunehmen. Im gläubigen Annehmen schenkt Gott ein inneres Verstehen. In der Heiligen Schrift gibt es viele Zeugnisse, wo sich Menschen auf Gott eingelassen haben, obwohl sie ihn nicht verstanden haben. Dann aber hat ihnen Gott machtvoll geholfen und sie durften vieles und viel mehr verstehen als die anderen Menschen. Da denke ich an Werner, der seit Jahrzehnten an den Rollstuhl gebunden ist. Monatlich bringe ich ihm die hl. Kommunion. Seit dem 26. Lebensjahr lebt er mit seiner Krankheit. Zunächst hat er sich gewehrt, was nur verständlich ist. Der innere Friede kam, wie er mir mehrmals bezeugte, als er Ja zu seiner Behinderung sagte. Das Annehmen des Unbegreiflichen brachte ihm die innere Ruhe.
Glauben heißt treu sein, obwohl man nichts Besonderes fühlt.
Wir Menschen wollen stets in guter Stimmung sein. Wenn wir keine Lust haben, dann werden wir bequem oder schieben dies und jenes auf oder suchen irgendeinen Genuss zur Selbsttröstung. Reif im Glauben werden jene Menschen, die unabhängig von Lust und Laune Tag für Tag beten, auf die innere rufende Stimme des Gewissens hören und ihr folgen, auch wenn sie nicht in bester Laune sind. Glauben heißt: nicht weglaufen, nicht bequem werden oder klagen, wenn es mühsam wird und die Lust fehlt. Glauben heißt treu sein.
Liebe Schwestern und Brüder, glaubende Menschen gehen über die Grenzen des Sehens, des Verstehens, des Wissens und des Fühlens hinaus. Wer immer wieder dazu bereit ist, wird innere Kraft empfangen, er wird Dinge verstehen, die für andere Menschen unverständlich sind, er wird einen Frieden im Herzen erfahren, der kostbarer ist als vieles andere. Solchen Glauben belohnt Gott. Herr, gib uns Mut und Kraft zu einem solchen Glauben. Amen.
P.Peter Willi FSO